Kelis was here

Oberflächlich betrachtet liest sich die Geschichte von Kelis Rogers ziemlich simpel: Vom Riot-Girl der HipHop-Generation zur eleganten Boss-Lady. Vom Mädchen, das ihre Wut auf die Männerwelt hinausschreit, zur Frau, die selbige mit einem einzigen Wimpernschlag dauerhaft um den Finger wickelt. In Wahrheit aber hat sich die 26-Jährige aus dem von Mythen umrankten New Yorker Stadtteil Harlem noch nie auf so platte Schlagworte reduzieren lassen.

Schon ihr erstes Album „Kaleidoscope“ von 1999 zeigte Facetten jener Sinnlichkeit, die Kelis mittlerweile zur globalen Hochglanz-Heroin gemacht hat. Und umgekehrt lässt sie auch auf ihrem neuen Wurf „Kelis Was Here“ nicht jene typische Rotzigkeit vermissen, die einst das gesamte R&B-Genre aus einem jahrelangen Dornröschenschlaf riss. Der Albumtitel sagt es bereits: Kelis hat ihre Spuren hinterlassen, in der Musikhistorie und in der persönlichen Geschichte von Millionen von Menschen. Und sie hat ganz bestimmt nicht vor zu gehen.

Von der glühend heißen ersten Single „Bossy“, auf der sie über mächtige 808-Kicks selbst den legendären Chef-Pimp Too Short in die Schranken weist, über die grazile Spoken Word-Ästhetik von „Circus“ bis hin zum in einschlägigen Internet-Foren bereits hitzig diskutierten Hidden Track „Fuck The Bitches“ schafft sie zeitlose Popmusik, die in jeder Sekunde die HipHop/R&B-Wurzeln der New Yorkerin durchschimmern lässt, ohne sich aber auch nur eine Sekunde in die Szene-üblichen Dogmen zu fügen. „Die Leute können meine Musik nennen, wie sie wollen. Von mir aus sollen sie sagen, ich sei ein Country-Artist, das ist mir wirklich komplett egal. Solange die Menschen fühlen, was ich tue, ist alles in Ordnung.“

Dass die Neptunes auf „Kelis Was Here“ zum ersten mal komplett fehlen, fällt nicht unangenehm auf. Von Streit mit ihren Ex-Mentoren und Immer-noch-Freunden kann auch nicht die Rede sein. „Es war einfach an der Zeit, sich weiterzuentwickeln. Wo würde es mich als Künstlerin hinbringen, wenn ich noch weitere zehn großartige Songs mit den Jungs aufnehmen würde? Nirgendwo hin. Man darf einfach nie stehen bleiben und sich einer natürlichen Entwicklung widersetzen, nur weil es manche Leute an bestimmten Stellen der Industrie so haben wollen. Überhaupt: die ‚Musikindustrie’. Für mich ist das ein Widerspruch in sich. Mir geht es nicht in erster Linie darum, dass sich meine Sachen verkaufe. Mir geht es um die Musik. Darum, mich als als Mensch und Künstlerin auszudrücken. Und solange ich die Chance habe, das zu tun, bin ich glücklich.“ Nimmt man „Kelis Was Here“ als Maßstab, dann muss Kelis Rogers, die 26-Jährige aus dem von Mythen umrankten New Yorker Stadtteil Harlem, sehr glücklich sein.

Doch auch andere Produzenten als die Neptunes wissen etwas mit Kelis beeindruckenden Vocals anzufangen, unter anderem die French Funkhouserocker Alan Braxe und Fred Falke, die einen genialen Remix von “Bossy” auf Vinyl gebannt haben und Kelis damit auf ein Neues auch auf die elektrischen Tanzböden zurückholen.

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