Interview mit DJ und Producer Mijk van Dijk

Mijk, zunächst mal freuen wir uns sehr, dass Du die Zeit für uns gefunden hast, eine halbe Stunde vor Deinem Live-Act hier auf der Release Party Deines neuen Albums “Everyground” im Phonodrome in Hamburg. Zwei Jahre hat es gedauert, bis der neue Longplayer nun endlich in den Läden steht.
Eigentlich ja sogar fast drei. Nach dem letzten Album “Teamwork”, dass ich in Kooperation mit vielen verschiedenen befreundeten Produzenten gemacht hatte, brauchte ich erst mal eine gewisse Zeit für mich, für ureigene Sachen, bin viel getourt habe aber auch sehr viel produziert.

In drei Jahren kommt sicher einiges an interessanten Sachen zusammen. Wie hast Du für Dich eine Auswahl getroffen, welche Stücke letztlich auf dem Album landen sollten?
Auf der einen Seite waren es wirklich viele Stücke die zusammenkamen, ich wollte aber in jedem Fall ein harmonisches Album mit einem roten Faden. Ich habe beispielsweise immer ein Ambient Stück auf jedem Album. Produziert habe ich aber so viele ruhige Stücke die mir gut gefielen, dass ich mir wohl irgendwann demnächst den Wunsch erfüllen werde und ein reines Ambient -Album veröffentliche, auf dem die dann alle zu finden sein werden. Eine Konsequenz aus dieser Entscheidung, ist ganz nebenbei, dass “Everyground” ein sehr clubbiges, beatorientiertes Album geworden ist, von dem ich viele Stücke auch für meine eigenen Sets verwenden kann, ob nun als Intro, Höhepunkt oder Rausschmeisser.

Welchen Anteil haben Deine eigenen Produktionen an einem durchschnittlichen DJ Set, wie heute Abend zum Beispiel?
Es ist ganz klar, dass man eigene Sachen spielen muss und soll, das erwarten die Leute eigentlich auch, bei mir ist die Motivation aber auch sehr oft so, dass ich ein Set nutze, um Musik zu spielen, die ich selber so nicht produzieren kann, möchte oder will, die mich aber trotzdem fasziniert und mit der ich arbeiten möchte.

Musik, die Dich fasziniert und vielleicht sogar inspiriert? Wo liegen die Vorbilder, die Du musikalisch hast, wer hat Dich persönlich und künstlerisch am meisten beeinflusst?
Ich glaube Vorbilder hat man am ehesten wenn man anfängt, und damals waren das “Kevin Saunderson” und “Speedy J.”. Kevin Saunderson gar nicht aus dem Verständnis als Detroit Techno Mitbegründer heraus, sondern weil er es geschafft hat unter verschiedenen Synonymen völlig unterschiedliche Musikrichtungen zu produzieren, und alles davon war stark, ob nun puristische Sachen als “E-Dancer”, bis hin zu absoluten Pop-Perlen wie “Inner City”. Das war für mich anfangs auch ein Grund unter verschiedenen Projektnamen zu arbeiten, wie “Microglobe”, “Mindgear” “Marmion” und nicht als Mijk van Dijk.
Zur Zeit sind meine Lieblingsproduzenten “Technasia” weil sie es schaffen, im alten Detroitverständnis, harte, gute Grooves mit emotionalen Sounds zu verbinden ohne dabei in Kitsch abzugleiten.
Technasia ist ein chino-französisches Projekt mit Sitz in Hong Kong. Ich habe die Jungs kennengelernt, als ich im Mai 1997 rein privat in Hong Kong war, kurz vor dem “Handover” an die Chinesen.
Amil und Charles haben mir dann ihr erstes Stück vorgespielt “Descent”. Ich war völlig begeistert und bot ihnen an, einige der gerade frisch gepressten 12″‘s an DJs in Deutschland zu verteilen, wie z.B. Hell, Westbam und Sven Väth und Magazine wie Groove und Raveline, wo sie sofort euphorische Reaktionen bekamen. Da Charles in Paris lebt und Laurent Garnier ihre Musik auch liebt, waren sie recht schnell “everybody’s darling” und mittlerweile sind sie wohl eines der profiliertesten Producer-Duos, DJs und Live-Acts. Ihren ihren ersten Liveact auf deutschem Boden haben Sie übrigens auf meiner Geburtstagsparty im Oktober 1998 in Berlin gegeben.

Du bist selber kein gebürtiger Berliner?
Nein, nein, ich bin 1985 zum Studium nach Berlin gegangen, irgendwann wurde aber die Musik dann wichtiger und das Studium ging über Bord. Ursprünglich komme ich aus der Nähe von Hamburg. Mein Vater ist aber aus Holland, daher auch der Name.

Mancher mag vielleicht annehmen Mijk van Dijk sei bei einem deutschen vielleicht doch eher ein Künstlername?!
Nein, es ist ein Teil meines vollen Namens, aber der ist wesentlich länger und für deutsche Zungen so gut wie nicht aussprechbar, daher habe ich mich auch entschieden, ihn etwas abzukürzen.

Du hast erst 1992 angefangen aufzulegen, wann war bei Dir die Initialzündung sich mit elektronischer Musik zu befassen?
Ich habe eine für DJs wohl eher ungewöhnliche Karriere gemacht. Von Haus aus war ich richtiger Musiker, habe zuerst in Bands gespielt und bin eigentlich in der zweiten Hälfte der achtziger, als die ersten 8bit-Drumcomputer erschwinglich wurden, dazu gekommen elektronischen Funk machen zu wollen. Damals war ich ein grosser Verehrer von Leuten wie “Prince”, “Jimmy Jam & Terry Lewis”, die ganze Minneapolis-Ecke, wollte selber solche Sounds, solche Grooves machen. Als dann die ersten Houseproduktionen langsam über den großen Teich kamen habe ich zwar erst mal, ob deren Einfachheit, ein bisschen die Nase gerümpft, bin aber dann sehr schnell bekehrt worden als ich 1988 in London auf der “Chicago Jackmaster House”-Tour landete, wo Leute wie “Darryl Pandy”, “Joe Smooth” und “Full House” spielten. Kurz danach kam auch Acidhouse nach Berlin und da war ich infiziert. Es schien mir wie die logische Konsequenz aus Disco und Funk zu sein, mit dem großen Vorteil, dass plötzlich jeder mitmachen konnte. Nicht nur die großen wichtigen Produzenten in den superteuren Studios, es war einfach “dirty” genug, dass jeder mitmachen konnte. Weil es aber niemand gab, der einem erklären konnte wie und was ging, setzte ich mich einfach mit einem Freund hin und hab angefangen mit einem Sampler rumzuspielen. Damals hatten wir Begriffe wie 303, oder 909 noch nie gehört, heute kaufst Du Dir ein Musik-Magazin und da steht drin welches Equipment man braucht und man legt los und macht Techno. Ich hab damals zufällig in einem Artikel im “Melody Maker” von Mixmaster Morris gelesen was ein Drumloop ist und mir fiel es wie Schuppen von den Augen “Verdammt, das kann man also auch mit einem Sampler machen!!!”
Dann kam 1990 meine erste Veröffentlichung, auch die ersten Live-Acts auf verschiedenen Veranstaltungen in und um Berlin.

Die Berliner Clubszene spielt sicherlich in Deiner persönlichen Laufbahn eine große Rolle, wie würdest Du sagen, hat Dich die Zeit dort geprägt, besonders das breite Spektrum von sehr undergroundigen Musikstilen…? Der Titel des Albums lautet ja “Everyground”, steckt dahinter eine Art Kommentar zur allzeit brisanten Underground vs. Mainstream Diskussion?
Diese Diskussion finde ich eigentlich mittlerweile nur noch langweilig. Früher hatte der Ausdruck “Underground” eine ganz klare Bedeutung, nämlich die Abtrennung von populärer Musik, also allem was in den Charts war. Ich finde es gibt einfach Musik die ist so, wie sie gemeint ist, und es gibt kalkulierte Musik. Kalkulierte Musik an sich ist ja auch gar nichts schlechtes, im Gegenteil, wir sind bei allem immer von lauter kalkulierten Dingen umgeben, angefangen beim Schokoriegel der drei Jahre auf Marktakzeptanz getestet wurde bis er rauskommt bis hin zu eben Fernsehen und Musik, diese Dinge gehören zum heutigen Leben einfach dazu. Und auch in der heutigen populären Musik gibt es durchaus viele Künstler bei denen ich eher den artistisch, musikalischen Ansatz sehe, als das reine Kalkül sich möglichst geschickt am Markt zu positionieren. Dämlich finde ich es nur wenn rein kalkulierte Projekte mit dem Pathos “Underground” tituliert werden, nur um sie cooler wirken zu lassen.

Als Everyground könnte man sicher auch Deine Tourgewohnheiten bezeichnen, wo wird es als nächstes hingehen?
Ich habe noch zirka ein halbes dutzend Locations hier in Deutschland auf dem Plan, bevor es nach Österreich und in die Schweiz geht. März und April bin ich dann in Mexiko und Japan und hoffentlich ziemlich bald danach auch mal wieder zu Hause.

Du giltst in der Szene als einer der fleißigsten Reisenden. Welche Erfahrungen nimmt man mit wenn man zum Teil jeden Tag auf einem anderen Kontinent verbringt, ist es nicht merkwürdig so viele verschiedene Menschen immer auf Ihre Art zu Deiner Musik feiern zu sehen?
Ich bin niemand der seine Termine so eng setzt, dass es wirklich dazu kommt. Ich nehme mir lieber noch ein zwei Tage um die Städte und Länder kennenzulernen, gerade um etwas davon mitnehmen zu können. Erstaunlicherweise muss man schnell feststellen, dass die Leute eigentlich überall gleich zu dieser Musik feiern. Sicher gibt es gewisse kleine Unterschiede, die meisten feiern aber aus dem Bauch heraus. Techno ist einerseits so universell und doch emotional, dass jeder seinen Teil daraus ziehen kann und auch selber mitmachen kann. Das schöne ist ja auch, dass es im Gegensatz zu etwa Rock, wo England und Amerika die vorherrschenden Nationen sind, beim Techno keine Vorreiter gibt. Er hat überall lokale Färbungen, beispielsweise klingt japanischer Techno völlig anders als englischer oder deutscher, dennoch wird er überall verstanden. Ein perfektes Beispiel dafür ist ein mexikanisches Label namens “Nortec”, die ich auf einer Mexico-Tour kennengelernt habe, die ihren Stil gefunden haben als sie ihre Folklore-Musik den Nortenga mit Kölner minimal Technoscheiben mischten. Dabei entstand ein ganz eigener Sound der durchaus einige Hörgewohnheiten auf den Kopf stellt.

Von Mexiko, vor tausenden von Leuten bis nach Japan in einen winzigen Club beschreibt dein Label deine History. Welche Eindrücke haben diese Orte bei Dir hinterlassen?
Beides war auf seine Art umwerfend, der kleine Club in Nordjapan, den mein Freund Toby Izui als “Survivaltraining für DJs” bezeichnet sogar fast wörtlich. Man muß sich vorstellen, ein winziger Laden, mit hundert Leuten absolut dicht, die eine Wand besteht nur aus Boxen die andere ist das DJ-Pult. In der Mitte tanzen die Leute und nach einer Stunde ist da drinnen kein Sauerstoff mehr. Die Zigarette die Du ablegst um den Mix zu machen ist wenn Du sie wieder hochnimmst kalt, weil die Glut erstickt ist. Trotzdem feiern die Leute als wäre es ein Luftkurort. Die Intensität dort war schlicht und ergreifend mitreißend. Auf eine andere Art als in Mexiko vor 60.000 aber etwas das man so schnell nicht vergisst. Was ich nicht besonders leiden kann sind so lauwarme Parties mit ewig vielen Leuten, wo aber nichts an Reaktionen zu kommen scheint, weder gut noch schlecht. Dazu fällt mir eigentlich nur eine Textzeile von Inner City ein: “We don’t need a crowd to have a Party!” Wenn die Menschen die da sind mir etwas zurückgeben von dem was ich ihnen vielleicht mitgeben konnte, dann ist es ein guter Abend, egal wie viele Leute…
Mehr ist natürlich schöner ;-)

Was für ein schönes Schlusswort! Vielen Dank schon mal für Deine Zeit und einen kleinen Einblick in Dein Leben, viel Spaß noch gleich bei Deinem Liveauftritt und später beim Plattendrehen, möge es mehr als lauwarm werden!
Genau – Dankeschön!

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